Buchhaus Lange Pasewalk

David Benioff: Stadt der Diebe


Frau Renate Parschau rezensierte folgenden Titel:

David Benioff: Stadt der Diebe

Heyne 2009, 380 Seiten

ISBN978-3-453-40715-2

Der Autor schrieb das Drehbuch zu „Troja“ und die Filmfassung von Khaled Hosseinis „Drachenläufer“. Hier nun schreibt er die Geschichte seines Großvaters aus der Zeit der Belagerung von Leningrad, heute wieder Petersburg. Nicht, dass ich unbedingt wieder ein Buch aus dieser Zeit lesen wollte - immerhin haben wir in der Schule die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges bis zum Erbrechen vor- und wieder zurück gekaut - aber Ihre junge Buchverkäuferin hat sie mir empfohlen. Und da ich in dem Moment keinen anderen Ratgeber zur Seite hatte, habe ich das Buch gekauft. Und - fast - in einem Stück hintereinander weg gelesen. Ab und an noch ein wenig „Tore der Welt“ aus reinem schlechten Gewissen abgearbeitet und m ich dann doch einfach in den Bann der Geschichte (im direkten und dem anderen Wortsinn) ziehen lassen. Benioff lässt sich selbst von seinem Großvater, Jahrgang 1924, Anfang der 90er die Geschichte erzählen und führt uns mit diesem in das Jahr 1941, die Zeit der Belagerung Leningrads. Der 17jährige Lew klaut mit seinen Freunden dem vom „Himmel gefallenen“ Deutschen die Schnapsflasche und ein Messer. Und weil er dem Mädchen noch beim Fliehen vor der Miliz über den Zaun hilft, kommt er nicht schnell genug davon, wird selbst in den Knast geworfen. Dort trifft ihn Kolja, der Deserteur, wie es heißt. Dass der kein eigentlicher war, erzählt er dem noch jungfräulichen Lew viel später. Es ist eine seiner "Schwanzgeschichten", ein tragischer Vorfall, bei dem der von seinen männlichen Trieben beherrschte Kolja einfach nicht schnell genug zum Treffpunkt kam. Nun beginnt ihr beider Kampf ums Überleben, der Oberst braucht ein Dutzend Eier für die Hochzeit seiner Tochter. Nur mit dem Propusk in der Tasche machen sie sich auf den Weg, entkommen Kannibalen, brechen durch die feindlichen Linien, werden letztlich von eigenen Leuten noch unter Beschuss genommen.

Es ist eine Geschichte, die man so schnell nicht vergisst: Die Freundschaft der zwei sehr ungleichen jungen Männern entwickelt sich unter den widrigsten Umständen in nur wenigen Tagen. Benioff beschreibt, die Gerüche, die Farben und vor allem den Überlebenskampf von Menschen im besetzten Leningrad. Dass manche dabei ihre Menschlichkeit verlieren, ist nur folgerichtig. Lew überlebt, ist Mensch und sich selbst treu geblieben, gern hätte man noch ein wenig mehr über das weitere Leben des jungen Mannes erfahren, denn die Geschichte endet damit, dass ihm nach Ende des Krieges die Liebe seines Leben wieder begegnet, ein Dutzend Eier mitgebracht hat und gleichzeitig stolz verkündet, dass sie nicht kochen kann.

Gern wüsste man, wie er als russischer Jude den Kommunismus überstanden hat bzw. in die USA gekommen ist. Aber Benioff ist noch nicht a m Ende seiner Tage und seiner Schreibe. Er wird - hoffentlich - noch mehr schreiben. Sein Stil ist flüssig und humorvoll - sogar wenn er tragische, ja lebensbedrohliche Situationen beschreibt, kein bisschen weinerlich. Ich möchte das Buch empfehlen und würde gern wieder von ihm lesen.